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Netflix beleuchtet Femizid an Marie Trintignant

Von Rockstar zum Killer: Der Fall Cantat
Engelsgesicht, Ausnahmekünstler? Nein, Bertrand Cantat ist ein Mörder.Bild: netflix

Netflix beleuchtet Femizid an einer Schauspielerin, der 2003 ganz Frankreich erschütterte

Die von Netflix ausgestrahlte Dokumentarserie verfolgt den Mord an der französischen Schauspielerin Marie Trintignant, die 2003 vom Frontmann der Rockband Noir Désir Bertrand Cantat getötet wurde.
31.03.2025, 20:3701.04.2025, 08:56
Sven Papaux
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Mit «Von Rockstar zum Killer: Der Fall Cantat» reisst Netflix die Wunden eines Mordes wieder auf, der am 26. Juli 2003 im Zimmer 35 eines Hotels in Vilnius verübt wurde. Während die französische Schauspielerin Marie Trintignant in der litauischen Hauptstadt einen Fernsehfilm drehte, schlug ihr Freund Bertrand Cantat sie zu Tode.

«Das hat es in Frankreich so noch nie gegeben», sagt Anne-Sophie Jahn, Journalistin beim Magazin Le Point, Co-Regisseurin und Erzählerin dieser Dokumentarserie. Noch heute sorgt der Name Bertrand Cantat für Aufsehen und Spaltung. Er entfacht leidenschaftliche Debatten – so wie 2017, als das Magazin Les Inrocks ihm seine Titelseite widmete. Ob im Guten oder im Schlechten, der Sänger und Frontmann von Noir Désir lässt niemanden kalt. «Bertrand Cantat hatte eine verdammt starke Ausstrahlung», betont Pascal Nègre, der ehemalige CEO von Universal France.

Vom Rockstar zum Killer: Der Fall Bertrand Cantat - Produktionsstandbild
Marie TrintignantBild: netflix

«Er hatte eine gewisse Gewalt auf der Bühne. Wie Jim Morrison war er ein Getriebener», ergänzt Dominique Revert, der ehemalige Tourmanager der französischen Rockband.

Und um das Talent der verstorbenen Schauspielerin zu würdigen, fehlen ihren Angehörigen nicht die Worte: «Marie ist ein riesiger Star. Sie gehört zur Familie des Kinos», ruft die Sängerin Lio aus. «Es gibt Menschen, die sehr gut sind, und es gibt Menschen, die Anmut besitzen», ergänzt der Filmemacher Bernie Bonvoisin.

Zwischen diesen zahlreichen Zitaten und Aussagen wird der Fall Bertrand Cantat Stück für Stück rekonstruiert. Zum Vorschein kommt ein besitzergreifender Künstler, eine regelrechte Klette, die von Exklusivität lebte. Er war so vereinnahmend, dass Nadine Trintignant, Maries Mutter, seine ständige Präsenz am Filmset in Litauen nicht mehr ertragen konnte.

Die dreiteilige Dokumentarserie rekonstruiert das Drama Stunde für Stunde. Und sie beleuchtet die Nachricht, die Cantats Wut entfesselte: eine Nachricht von Samuel Benchetrit. Der Sänger erklärt: «Es gab diesen Satz, den ich als zärtlich bezeichnen würde.» Dabei ging es in der Nachricht hauptsächlich um die Promotion des Films Janis und John, in dem beide Schauspieler mitgewirkt hatten.

Sie lautet:

„Ich küsse dich, meine kleine Janis.“
Und da ist Bertrand Cantat explodiert.

In den Aufnahmen der Vernehmung in Vilnius sieht man einen Bertrand Cantat mit zitternder Stimme, die Tremolos in seiner Stimme, den Rücken gebeugt von der Brutalität seiner Tat.

Bertrand Cantat
Bertrand Cantat auf der Anklagebank im Kostüm des «dunklen Helden der Bitterkeit», wie es in einem seiner Lieder gesungen wurde.Bild: netflix

Der französische Künstler legt den litauischen Behörden seine Sicht der Dinge dar. Er behauptet, von Marie Trintignant angegriffen worden zu sein. Sie sei es gewesen, die ihn bis an seine äussersten Grenzen getrieben habe. «Und dann greife ich Marie am Kragen. Ich wollte sie packen, um sie auf das Sofa zu werfen», erklärt Cantat.

Dann gibt es einen Moment der Gleichgültigkeit, der erstaunt: Im Verlauf seiner Schilderung, die den Höhepunkt des Streits beschreibt, sagt der Sänger: «Ich versichere Ihnen, wenn mir so etwas passiert, werde ich jedes Detail aufschreiben», und das mit feuchten Augen, wobei er sich auf die vagen Erklärungen bezieht, um dann zu sagen, dass es «fürchterlich» sei, was er durchmache.

Einzige und alleinige Wahrheit: die von Cantat

Bertrand Cantat, der während seiner Aussage überzeugend wirkte, wird die Theorie des Unfalls durchsetzen, die als Hauptthese angenommen wird. Er habe sie gestossen, und sie habe sich den Kopf an einem Heizkörper im Wohnzimmer gestossen. Basta. Alle glauben daran, dass es sich um einen Streit gehandelt habe, der schiefgegangen ist: die Presse, die Bevölkerung, die Fans, die öffentliche Meinung.

Doch es gibt nur eine einzige Wahrheit, die dieses «Unfall» ausmacht: die von Cantat. «Aber wir haben nicht die Wahrheit von Marie Trintignant», unterbricht die Journalistin Juliette Fines. In diesem Moment stehen sich zwei Perspektiven auf die Geschichte gegenüber: die Verteidiger von Cantat und die von Marie Trintignant.

Aber wo liegt die wahre Wahrheit? Der Autopsiebericht zeigt dann Verletzungen von extremer Gewalt. Durch Bernard Marc, den Gerichtsmediziner, erfahren wir, dass die Verletzungen «zu schwerwiegend sind, um von einem einfachen Sturz zu stammen».

Er fährt fort:

«Beim Untersuch des Schädels von Marie Trintignant wird man feststellen, dass die Gewalt der Schläge extrem war.»
Bernard Marc, Gerichtsmediziner

Denn die Autopsie zeigt eine andere Seite des Streits.

Der Unfall weicht einem Tötungsdelikt aus Leidenschaft, das heutzutage als Femizid bezeichnet wird. Es werden Hinweise auf einen offenen Bruch der Nase und sogar Spuren am Kehlkopf gefunden, die möglicherweise von einer Person stammen, die auf dem Opfer sass. Michelle Fines spricht von einem «Massaker» und zitiert die Gerichtsmediziner: «Sie hatte das Schüttelbabysyndrom», so stark wurde der Körper der jungen Frau misshandelt.

«Von Rockstar zum Killer: Der Fall Cantat» zeigt durch diese Archive einen Cantat, der in dunkle Wut verfällt und der Schauspielerin verheerende Schläge versetzt. «Es waren grosse Ohrfeigen, mit meinen Ringen. Ich war ausser mir, ich war nicht in meinem normalen Zustand zu diesem Zeitpunkt», gesteht der Sänger.

Neben dem Verlauf des «Unfalls» wird die clanähnliche Auseinandersetzung interessant, ebenso wie die Behandlung des Falls: der Kampf in der Presse und die Verteidigung, die sich um Cantat formiert, sowie die wiederholten Angriffe (der Pariser Intellektuellen) auf Trintignant. Man (wieder)entdeckt diesen Fernsehauftritt des Journalisten Arnaud Viviant, der ein wenig Mitgefühl für Cantat fordert. Und er fährt mit seinem Monolog fort, trotz der Aufregung auf dem Set: «Wenn ich für Bertrand Cantat plädieren müsste, dann wäre es zuerst ein Drama, bevor es ein Verbrechen ist.»

Man hört sogar diesen Satz von Cantats Anwalt, Olivier Metzner, den wir Ihnen zur Beurteilung überlassen:

«Ohne diese übermässige Liebe hätte das Drama nicht existiert.»

Die Leidenschaft hat das Gesicht der Schauspielerin zerstört, so die Verteidiger des Frontmanns von Noir Désir. Man hört, dass «es mitten in der Leidenschaft war, dass die tragische Tat geschah», ein Satz, der auf einem (wiederholten) Fernsehauftritt geäussert wurde.

Im Laufe der Verteidigung von Bertrand Cantat erhebt sich eine andere Stimme, die wie eine Stimme der Vernunft klingt: Krisztina Rady. Die Ex-Frau von Cantat hatte über viele Jahre die Wutausbrüche ihres Mannes ertragen müssen. Eine aufgenommene Nachricht, die an ihre Eltern gerichtet ist, wird in der Serie in der dritten Episode abgespielt. Man hört eine Frau, die Angst um ihr Leben hat, verängstigt von den Wutausbrüchen des Rockers.

Schlimmer noch, es wird bekannt, dass sie ins Krankenhaus gegangen war, mit blauen Flecken und Verletzungen bedeckt. Die Serie berichtet, dass sie sich weigerte, Anzeige zu erstatten, um ihre Kinder zu schützen. Krisztina Rady hat sich am 10. Januar 2010 das Leben genommen.

Eine neue Frau, zerstört von einem Mann, der die Winde der Gewalt und die Flammen des Zorns entfacht. Doch wieder einmal wird Bertrand Cantat als Opfer dargestellt, ein Mann, der immer wieder Dramen durchlebt.

Anne-Sophie Jahn wird dennoch weiter graben, um die (sehr dunkle) Seite von Cantat zu enthüllen. Ein ehemaliges Mitglied der Band Noir Désir gibt schliesslich zu, dass der Sänger zwei frühere Freundinnen vor dem Tod von Marie Trintignant und Krisztina Rády geschlagen haben soll.

Nach zwei Stunden der Serie verändert sich der Blick auf Bertrand Cantat und ähnelt dieser Aussage von Richard Kolinka, dem Vater eines der Söhne von Marie Trintignant: «Er ist ein verachtenswerter Kerl.»

Alle drei Folgen von «Von Rockstar zum Killer: Der Fall Cantat» ist auf Netflix verfügbar.

Hier kannst du den Trailer schauen:

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55 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Takeshi 34
31.03.2025 21:24registriert Juli 2023
Der eigentliche Skandal ist das er nach 4 jahren wieder auf freiem Fuß war. Zumal das da keine Reue für seine Tat wahr. Unglaublich wie wenig ein Menschenleben wert ist.
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Bakunin
31.03.2025 22:46registriert März 2021
Ich kannte die Geschichte gar nicht, habe gerade mal den Wikipediaartikel ihn gelesen. Er durfte ausrdem Gefängnis heraus sich an der Veröffentlichung eines neues Albums beteiligen. Unfassbar!

Und 2013 hat er in einem Interview gesagt: "er bereue die Tat, wolle aber nicht als „das Symbol der Gewalt gegen Frauen“ gelten", wenn er Das nicht will hätte er halt nicht Gewalt gegen mehrere Frauen ausüben sollen. Was für einer erbärmlicher Typ.
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ubu
01.04.2025 07:53registriert Juli 2016
Können wir uns drauf einigen, dass es Femizid AN einer Schauspielerin heissen müsste? Femizid ist die Tat, ist der Mord. Sie ist nicht die Mörderin, sie ist das Opfer.
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